Hans-Gerd Pyka
SCHRIFTSTELLER, KÜNSTLER, INGENIEUR

Geboren am 12. Oktober 1955. Verheiratet.
Zwei Kinder. Aufgewachsen in Salzgitter-Lebenstedt.
Berliner seit 1973.

Teilezurichter (Schlosser).
Ingenieurstudium, Technische Fachhochschule Berlin. Abschluss.
Theoretische Physik, Freie Universität Berlin. Ohne Abschluss.
Mitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler BBK seit 1987.
Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller seit 2010.
Mitglied der Albert-Camus-Gesellschaft seit 2021.
Mitglied des Forums Gestaltung, Magdeburg seit 2024.


Meine Vorstellungen und mein Verhältnis zur Kunst und meine künstlerische Praxis änderten sich bei mir im Laufe der Jahre – glücklicherweise. Unbedingt gehalten hat sich meine Prämisse: Meine Literatur ist mir wichtig, die Kunst auch, der Film inzwischen ebenso. Das mit Abstand Wichtigste allerdings ist meine Familie.

Oft und ausgiebig gezeichnet habe ich schon als kleiner Junge. Meine Mutter behauptete früher, dass ich zu zeichnen anfing, bevor ich überhaupt zu sprechen begann. Das konnte so nicht stimmen, aber ich erwähne es gerne. Jedenfalls habe ich früher mit Wonne – oder aus einer Not heraus – geschwiegen, das weiß ich noch, und wer oft seinen Mund hält, macht stattdessen etwas anderes, der bastelt oder spielt Fußball oder zerstört etwas oder liest. Ich habe Fußball gehasst, habe als Kind nur dann gelesen, wenn ich es musste, und statt etwas zu basteln, habe ich lieber gezeichnet, obwohl ich auch gut mit Schere und Keber umgehen konnte, also handwerklich geschickt war. Dass ich brav war, nichts zerstörte, gilt als verbürgt. 

Eine künstlerische Förderung oder Unterstützung vonseiten meiner Eltern hielt sich in Grenzen, so wie sich ihre Pflicht, mich zu erziehen, in Grenzen hielt. Eigentlich wurde ich gar nicht oder nur indirekt oder nebenbei erzogen, wobei man keinesfalls von einer Vernachlässigung sprechen konnte. Meine Eltern haben schwer und immer gearbeitet, so kam es mir vor, und wer viel Zeit braucht, um das Geld für das Nötigste zu verdienen, dem fehlt es an Geduld, die unerlässlich ist, um ein Kind künstlerisch anzuregen. Außerdem fehlte ihnen das Wissen um die Kunst, ja allein dieses Wort – Kunst – kam in meiner Kindheit nie über die Lippen meiner Eltern, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern.

Mein Vater brachte irgendwann, da war ich wohl drei Jahre alt, stapelweise braunes dickes Papier mit nach Hause, Formulare aus dem Stahlwerk, die auf der Rückseite leer waren. Diese Rückseiten zeichne ich voll, und ich frage mich heute, ob meine lebenslange Abneigung gegen Formulare daher rührt, dass ich als Kind die bedruckten Vorderseiten erdulden musste. Meine Mutter, die ihre Pfennige zweimal umdrehte, bevor sie etwas kaufte, gab mir jeden Samstag das Geld für einen Zeichenblock der Größe DIN A4, der zehn Blätter enthielt, also zwanzig Seiten, von denen ich binnen einer Woche neunzehn vollzeichnete und eine für die Schule, für den Malunterricht, aufsparen musste. Einen Anspitzer besaß ich lange nicht, ich nahm unser Schälmesser aus der Küche.

Und was zeichnete ich? Alles, was mich umgab, real oder im Kopf: Figuratives, stilisierte Osterhasen, Ostereierfabriken, in denen Hasen arbeiteten, Traktoren, Mähdrescher, Indianer, Cowboy, Pferde, Soldaten, Schiffe, Kriege mit Hunderten von Kämpfern aller Art, grundsätzlich etwas aus meiner Sicht Sinnvolles, etwas, das ich vollständig erklären konnte, mir erklären, also nichts „komplett Verrücktes“, wie ich es nannte. Außerdem zeichnete und malte ich in der Schule, galt hier als der Beste der Klasse. Mit Sicherheit war ich derjenige in der Schule, der am meisten zeichnete, und – als wäre das nicht genug gewesen – zeichnete ich sogar für meine Mitschüler, indem ich quasi als Diaprojektor fungierte: In Geschichte „zauberte“ ich, wie man mir sagte, die Werkzeuge und Gesichter der Steinzeitmenschen an die Tafel, die meine Mitschüler dann abzuzeichnen hatten, zeichnete in Naturkunde Blumen und Tiere oder in Erdkunde die Käse tragenden Holländerinnen in ihren spitzen Holzschuhen. Ich zeichnete in vielen Fächern – meine Lehrerin bat mich, auch im Musikunterricht zu malen, obwohl oder gerade weil ich unmusikalisch war.

Mit zwölf Jahren erlebte ich meine erste – und für einige Jahre einzige – große Liebe, die rund vier Wochen zweiseitig war, anschließend einseitig und schier endlosen Liebeskummer nach sich zog, den zu ertragen ich irgendwie mit Zeichnen zu mildern versuchte, was mir nicht gelang. Ich malte mir meine Marion, wie ich sie erlebt hatte, doch keins meiner Bilder genügte meinen Ansprüchen, so dass ich zwar ihren Körper aufs Papier brachte, ihr Gesicht aber leer blieb, obwohl ich längst geübt hatte, Nasen, Augen, Mund und Ohren zu schraffieren.

Mein Chemielabor und die Berufsfachschule – ich will nicht behaupten, dass beides eine Störung meiner Kunst gewesen ist, aber es war jeweils eine notwendige Ablenkung. Dann folgte das bis dahin entscheidende Erlebnis: Berlin! Hier war alles besser als in Salzgitter-Lebenstedt, wo ich her kam, wo ich aufgewachsen war. Sechs Monate Berliner Glück, ohne dass ich viel zeichnete, aber zum ersten Mal in meinem Leben ahnte, am richtigen Ort zu sein. Dann die fatale Rückkehr nach Lebenstedt, die Fachoberschule dort, die ich abschloss, und die Bundeswehr, der zu entgehen mir nicht gelungen war. Während des fünfzehnmonatigen Wehrdienstes zeichnete ich ein Bild. Waren es zwei?

Studium in Berlin. Ich lernte wie ein Getriebener, interessierte mich für alles, besonders für Mathematik und Kunstgeschichte, für jedes Buch, das ich in die Finger bekam, und endlich auch für Literatur. Ich zeichnete und schieb, bis ich Ingenieur war und einer Frau einen halben Roman geschickt hatte mit einigen meiner besten Bilder darin, um zu beeindrucken. Sie war aber nicht beeindruckt. Ich studierte Physik, lernte die Frau meines Lebens kennen, Annette, und zeichnete fast jeden Tag. „Kein Tag ohne Bleistift“, war mein Motto. Bald kamen die Radiernadel und der Fettstift hinzu: In den Werkstätten des Künstlerhauses Bethanien und in der Radierwerkstatt der Taborstraße. Ich gab die Physik auf, arbeitete in der Industrie als Ingenieur und nach einigen Jahren halbtags, was eine künstlerische Ausweitung ohnegleichen nach sich zog, denn ich verdiente innerhalb kurzer Zeit ausreichend Geld, um ein Künstlerleben finanzieren zu können, wie ich es mir wünschte – und ein Leben als Autor.

Der 24. November 1992, der Geburtstag unserer Zwillinge, war der mit Abstand wichtigste Tag in meinem Leben und die Zeit mit den Kindern die bisher schönste. Alles andere wurde unwichtig oder wenigstes zweitrangig, auch meine Kunst, die ich ausweitete, indem ich aquarellierte, mit Kugelschreiber und Filzstift zeichnete und alles gelten ließ, was mir in den Sinn und aufs Papier kam, auch wenn ich es nicht erklären konnte. Ich zeichnete Sozialkritisches, Gesellschaftskritisches, zeichnete umweltzerstörende Technik, den Penner am Bahnhof Zoo, Vereinsamte, Gestrauchelte. Erste Ausstellungen folgten, von denen die damals größte die im Klinikum Steglitz gewesen ist.

Liefen künstlerisches und literarisches Schaffen bis Ende der neunziger Jahre parallel, gewann die Literatur spätestens mit meinem ersten Stipendium das Rennen und zwar 2007 im Wewelsflether Alferd-Döblin-Haus, obwohl ich im selben Jahr die große Ehre hatte, sehr viele Bilder, darunter auch Computergrafiken, im Lüneburger Heinrich-Heine-Haus ausstellen zu dürfen. Zwei Sparten der Kreativität, die ich nicht als Konkurrenten empfand, sondern als Bereicherung und Ergänzung. Als 2019 der Film als dritte Sparten hinzu kam, war ich mit der Umsetzung meiner Ideen rundum bedient. Denn singen kann ich ja nicht.

Hans-Gerd Pyka, 8. Juli 2025

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